Gemeinschaftsprojekt Gruselseiten / europa-vinyl:

Versionenvergleich der

Schauergeschichten

zwischen der LP-Ausgabe
(E 278)

und der MC-Ausgabe
(4312)



 

Teil 1

LP Seite 1 / MC Seite 1:
(Trompetenmusik.)

Poe: Der Untergang des Hauses Usher

An einem grauen, stummen Herbsttage, an dem die Wolken drückend und schwer fast bis zur Erde herabhingen, war ich lange Zeit durch eine eigentümlich trübe Gegend geritten. Endlich, als schon die Abendschatten sich niedersenkten, sah ich das Stammhaus der Familie Usher vor mir. Ich weiß nicht wie es kam, gleich beim ersten Anblick der Mauern befiel mich ein unerträglich dumpfes Gefühl. Ich betrachtete das einsame Gebäude in seiner eintönigen Umgebung: die kalten Mauern, die leeren, wie erloschene Augen starrenden Fenster, ein paar Büschel dürrer Binsen, die weißlich schimmernden Stämme verdorrter Bäume. Was mochte es sein, überlegte ich, ja, was mochte es sein, das mich beim Anblick des Hauses Usher so entnervend überwältigte? Diese bohrende Frage ließ mich mein Pferd an das steile Ufer eines finsteren, sumpfigen Teiches lenken, der in düsterer Reglosigkeit das Schloß umgab. Ich beugte mich vor, spähte ins Wasser und erblickte, von einem noch stärkeren Schauder geschüttelt, das auf den Kopf gestellte und verzerrte Spiegelbild der dürren Binsen, der gespenstischen Baumstümpfe und der leeren, wie erloschene Augen starrenden Fenster. Und dennoch wollte ich in diesem, nichts als Schwermut verbreitenden Hause einen Aufenthalt von mehreren Wochen nehmen. Der Besitzer des Schlosses, Roderick Usher, war in meiner Jugend einer meiner liebsten Freunde gewesen. Doch es waren viele Jahre vergangen, seit wir uns zum letzten Male gesehen. Da hatte ich kürzlich, bei meinem Aufenthalt in einem abgelegenen Teil des Landes, einen Brief von ihm bekommen, in dem er mich mit folgenden Worten um meine Anwesenheit bat:
Usher: "Lieber Freund, sicher wirst du dich wundern nach so vielen Jahren des Schweigens plötzlich ein Lebenszeichen von mir zu erhalten. Lebenszeichen ... ? Ach, das Wort allein ist schon zu hoch gewählt, denn wie könnte ich behaupten, das Leben, das ich führe, sei noch Leben zu nennen? Not leide ich nicht, nein, aber ... nun, ich glaube, dir meine augenblickliche Verfassung brieflich zu schildern, wäre ein zum Scheitern verurteilter Versuch. Darum und bei unserer Jugend Freundschaft bitte ich dich: Komm, sobald deine Geschäfte es erlauben, zu mir auf mein Schloß. Vielleicht gelingt es dir, mir Erleichterung zu bringen. Dein Roderick Usher. Ich flehe dich an: Komm bald!"

(Sirrende Musik, Hall auf der Stimme.)

Poe: Der Brief hatte mein bis dahin so geruhiges Leben wie ein Donnerschlag getroffen und mich tief erschüttert. Zwar wußte ich recht wenig über meinen Freund, obwohl wir in der Jugend geradezu vertraute Kameraden gewesen waren. Er hatte mir gegenüber von seinen persönlichen Angelegenheiten immer nur mit großer Zurückhaltung gesprochen. Eins aber stand für mich fest: ich mußte seiner Aufforderung unverzüglich Folge leisten, um ihm nach Kräften in seiner so geheimnisvoll furchtbaren Lage beizustehen. Eine der wenigen, mir geläufigen Tatsachen war, daß seine sehr alte Familie seit undenklichen Zeiten wegen einer sonderbaren Reizbarkeit des Temperaments bekannt war. Außerdem wußte ich von dem merkwürdigen Umstand, daß der Stammbaum der Familie Usher niemals eine ausdauernde Seitenlinie abgezweigt hatte, daß also die ganze Familie ihre Abstammung in direkter Linie herleiten konnte. Eine Folge dieser immer gleich bleibenden Übertragung des Erbes vom Vater auf den Sohn war zweifelsohne der Umstand, daß Name und Besitztum der Familie so miteinander verschmolzen waren, daß der ursprüngliche Name des Besitztums in die seltsame und doppeldeutige Benennung "das Haus Usher" übergegangen war, mit der die Bauern der Umgebung sowohl die Familie als auch das Stammschloß bezeichneten, vor dem ich jetzt stand.

(Spinettakkord, rauschender Wind.)

  Ich betrachtete eingehend das Äußere des Gebäudes. Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß es ein außerordentliches Alter besaß. Die Fassade erinnerte mich stark an reiche Holztäfelung, die lange Zeit, von keinem äußeren Lufthauch berührt, in einem verlassenen Gewölbe gelegen und ihr stattliches Aussehen bewahrt hat.

Ich betrachtete das einsame Gebäude in seiner eintönigen Umgebung.

(Sirrende Musik.)

  Gleich beim ersten Anblick der Mauern befiel mich ein unerträglich dumpfes Gefühl. Was mochte es sein, das mich beim Anblick des Hauses Usher so entnervend überwältigte? Außer den leichten Anzeichen von Verwitterung bot das Schloß nirgendwo Spuren von Baufälligkeit. Vielleicht jedoch wäre einem scharf prüfenden Blick ein kaum bemerkbarer Riß aufgefallen, der an der Vorderseite des Gebäudes vom Dach im Zickzack die Mauer durchlief, bis er sich im trüben Wasser des Teiches verlor.

Während ich noch diese Einzelheiten betrachtete, ritt ich auf einem kurzen Dammweg hinauf zum Haus.

(Hufgetrappel.)

  Ein Diener, der auf mich zu warten schien, nahm mein Pferd, und ich selbst trat unter den gotisch gewölbten Bogen der Halle. Sofort wurde ich hier von einem Kammerdiener in Empfang genommen.

(Eine Tür wird geöffnet, Schritte.)

der Diener: Mr. Poe?
Poe: Der bin ich.
der Diener: Sie werden von seiner Lordschaft erwartet, Sir. Gestatten Sie, daß ich Sie zu ihm führe.

(Schritte. Die sirrende Musik wird lauter, ein Singen in der Luft.)

Poe: Durch dunkle und gewundene Gänge ging der schweigsame Lakai mir voran.

(Schritte.)

  Endlich verlangsamte er seine Schritte und machte vor einer Türe halt.
der Diener: Das Arbeitszimmer seiner Lordschaft!

(Die Tür wird quietschend geöffnet.)

Poe: Erleichtert trat ich ein, denn der Weg durch die düsteren Gänge hatte schon wieder dazu beigetragen, jenes unbestimmte Gefühl des Grauens in mir zu verstärken. Der Raum, in dem ich mich nun befand, war sehr groß und hoch. Durch die vergitterten Scheiben der gotischen Spitzbogenfenster drang ein schwacher, rötlicher Schimmer, gerade hinreichend, die hervortretenden Gegenstände des Zimmers einigermaßen erkennbar zu machen. Die Wände waren mit dunklen Teppichen bekleidet. Die Einrichtung schien im allgemeinen reich, doch nicht behaglich, sie war altmodisch und an vielen Stellen schadhaft. Einige Bücher und Musikinstrumente lagen zerstreut umher, ohne jedoch die unheimliche Öde des Gemachs zu beleben. Ich fühlte, daß ich eine Luft einatmete, die gramgeschwängert war. Ein Hauch düsterer, kalter, nicht zu bannender Schwermut lastete hier auf allem.

(Musikakkorde aus verschiedenen Schlaginstrumenten, dann das Pendel einer Uhr.)

Usher: Schau dich nur um. Ich hoffe, es gefällt dir bei mir. Mein allerliebster Freund! Ich bin überglücklich, daß du gekommen bist. Setz dich doch.
Poe: Fast fuhr ich zurück. Aus dem Halbdunkel hatte sich ein Schatten gelöst und kam mir langsam entgegen. Es war Sir Roderick Usher. Aber ... mein Gott, noch nie hatte sich ein Mensch in so kurzer Zeit so furchtbar verändert wie er. Nur mühsam wollte es mir gelingen, in dieser gespenstischen Gestalt da vor mir den Gefährten meiner Jugend wiederzuerkennen. All die charakteristischen Einzelheiten seiner Züge: große, leuchtende Augen, schmale, schön geschwungene Lippen, die Nase von edelstem Schnitt, das schön gebildete Kinn, sein seidenweiches Haar und die breit ausladenden Schläfen, all diese Einzelheiten waren nun auf einmal derart verschärft hervorgetreten, daß ich fast zweifelte, ob er es wirklich war. Am meisten war ich erschreckt über die gespenstische Blässe seines Gesichts und das schon unnatürliche Glänzen seiner Augen. Das seidige Haar hatte er ungewöhnlich lang wachsen lassen. Wie seltsames Spinngewebe umrahmte es sein Gesicht und vergebens bemühte ich mich, dies verschlungene Arabeskengebilde nur für einfaches Menschenhaar zu halten.
Usher: Mein allerliebster Freund! Ich bin überglücklich, daß du gekommen bist. Setz' dich doch. Ich muß dir natürlich gleich ... bitte starre mich nicht an, als wäre ich ein Gespenst. Hm, Gespenst!? Ja, was unterscheidet Roderick Usher noch von einem Gespenst? Das wirst du dich sicher fragen, wenn ...
Poe: Aber nein, ich freue mich, dich ...
Usher: Was? Soll ich das glauben? Ha! Ach, verzeih meine Unleidlichkeit, du ... du mußt nämlich wissen, daß mir ... oh ... nein, nein, nein, nein, nein ...

(Schritte.)

Ahhhhh ...
Poe: Was ist? Kann ich dir ...
Usher: Schon vorbei, Freund, schon vorbei. Es war nur ein Schauder, der mich jetzt immer häufiger ... setz dich endlich!

(Schritte.)

Verzeih, ich ... ich ... ich leide unter nervöser Angegriffenheit. Hoffentlich geht sie bald wieder vorüber. Weißt du, Lieber, was mir das Leben so unerträglich macht, ist die krankhafte Verschärfung aller meiner Sinne ... ja, die Verschärfung meiner Sinne. Nur ungewürzte, fade Speisen sind mir erträglich, als Kleidung kann ich nur ganz bestimmte Stoffe tragen, jeder Blumenduft ist mir zuwider und Licht ... selbst das schwächste quält meine Augen.

(Die Standuhr schlägt laut und dröhnend.)

Ach, aaaaach! Diese Töne! Diener!

(Die Tür wird quietschend geöffnet.)

der Diener: Eure Lordschaft befehlen?
Usher: Habe ich dir grausamen Schafskopf nicht befohlen, die Uhr abzustellen, auseinanderzunehmen oder von mir aus zu zerstören?
der Diener: Sehr wohl, Eure Lordschaft.
Usher: Sehr wohl, sehr wohl! Du weißt genau, daß die Schläge der Uhr mich wahnsinnig machen, mit Entsetzen erfüllen ...

(Die Uhr schlägt erneut laut und dröhnend.)

... oh, aufhören! Aufhören, ich kann’s nicht mehr ertragen, ich werde sie ...

(Schritte.)

So, da! ... Da! So, da!

(Usher zerstört die Uhr, die krachend auf den Boden stürzt.)

Endlich Ruhe! Laß uns allein.
der Diener: Sehr wohl, Eure Lordschaft.

(Schritte, dann wird die Tür geschlossen.)

Usher: Oh, furchtbar! Siehst du, lieber Freund, ich kann keinerlei Tonklänge mehr anhören, ohne von Schmerz, von Schreck und Grauen gepeinigt zu werden. Nur Musik von Saiteninstrumenten ist mir erträglich geblieben. Ach, ich werde sterben an dieser beklagenswerten Torheit. So und nicht anders werde ich untergehen. Ich fürchte keineswegs irgendeine Gefahr, sondern nur ihre unvermeidliche Folge: den Schrecken.
Poe: Roderick!
Usher: Ich weiß, was du sagen willst, aber ich sage dir: Ich fühle deutlich, daß in diesem entnervten, grauenvollen Zustand früher oder später die Zeit kommen wird, wo ich Vernunft und Leben verlieren werde ...
Poe: Aber vielleicht ...
Usher: ... verlieren im Kampf mit dem gräßlichen Hirngespinst Furcht. Oh ...
Poe: Vielleicht, mein Guter, wäre es das Beste für dich, dieses Haus eine zeitlang zu verlassen.
Usher: Wie?
Poe: Ja. Ich sehe nämlich wohl, daß seine ganze Atmosphäre in der Tat etwas Furchteinflößendes hat.
Usher: Nein! Nein, nur das nicht. Es ist mein Schicksal, dieses Haus nicht mehr zu verlassen. Und daran wirst du mich nicht hindern, du bestimmt nicht. Ach, verzeih mir, ich ... du mußt verstehen: Ein Usher darf das Haus seiner Väter nicht im Stich lassen, ein Jahrhunderte altes Gesetz.
Poe: Aber wenn die Einhaltung dieses Gesetzes so sehr dein Wohlbefinden belastet, so müßte ...
Usher: Ach, es ist nicht nur das Haus, mein Lieber. Was mich viel mehr belastet, ist, quälend, allein daran zu denken: Die schwere lange Krankheit meiner geliebtenmSchwester. Sie, die einzig noch verbliebene Verwandte auf Erden und einzige Gefährtin langer Jahre, ... sie geht unaufhaltsam der Auflösung ... dem Tod entgegen.

(Die Tür wird quietschend geöffnet.)

Horch, da kommt sie.

(Die Tür wird geöffnet.)

(Leise / Wenige laute Schritte, dann wird die Tür wieder geschlossen.)

Poe: Ohne meine Anwesenheit beachtet zu haben, hatte Lady Magdalene, so hieß seine Schwester, wie ein Gespenst den Raum durchschritten und uns dann wortlos wieder allein gelassen. Der Schauder, der mich überflog, sollte mich von nun an nicht mehr verlassen.

(Spinettakkorde.)

Die sonderbare Krankheit der Lady Magdalene, die der Kunst der Ärzte so lange Zeit Rätsel aufgegeben hatte, sollte wenig später ihr Ende finden.
Nachdem mein Gastgeber und ich noch bis in den späten Abend eine mehr als schleppende Unterhaltung geführt hatten, bei der Usher seinen Blick immer und immer wieder wie gehetzt in Richtung auf die Gemächer seiner Schwester hatte schweifen lassen, war ich schließlich auf das mir angewiesene Zimmer am Ende des einen Schloßflügels gegangen und hatte mich zur Ruhe begeben. Schlaf jedoch konnte ich nicht finden. Zu sehr waren meine Gedanken mit der sonderbaren Gemütsverfassung Roderick Ushers beschäftigt. Da, es mochte kurz nach Mitternacht sein, hörte ich plötzlich hastige Schritte sich meiner Tür nähern.

(Schritte.)

Ich fuhr hoch.

(Rascheln, weitere Schritte, dann öffnet sich die Tür.)

Dann wurde die Tür aufgerissen, ...

(Gepolter.)

und er stand vor mir: Roderick Usher, schreckensbleich und am ganzen Körper zitternd.
Usher: Es wird geschehen.
Poe: Was? Lady Magdalene? Sie ...
Usher: Ja, es geht mit ihr zuende. Und das Schicksal muß seinen Lauf nehmen.

(Spinettakkorde.)

Poe: So erfuhr ich, daß der flüchtige Anblick, den ich von Ushers Schwester gehabt hatte, wohl auch der letzte bleiben werde, daß ich Lady Magdalene - wenigstens lebend - nicht mehr erblicken würde.

(Synthesizer-Musik.)

In den folgenden Tagen wurde ihr Name weder von Usher noch von mir erwähnt. Ich war sehr bemüht, meinen Freund seiner Schwermut zu entreißen. Wir malten und lasen zusammen oder ich lauschte wie im Traum seinen seltsamen Fantasien auf der Gitarre. Einmal zeigte Usher mir ein sonderbares Gemälde, das er in einen schlaflosen Nacht geschaffen hatte.
Usher: Hier, schau.

(Ein schabendes Geräusch.)

Das Bild ist einem Alptraum nachgemalt, der sich fortwährend und immer öfter des nachts bei mir einstellt.
Poe: Die Zeichnung zeigte das Innere eines unendlich langen, rechtwinkligen Gewölbes oder Tunnels mit niedrigem, glatten, weißen Mauerwerk, das sich endlos hinzog. Durch gewisse Einzelheiten im Bild wurde angedeutet, daß dieses Gewölbe sehr tief unter der Erde lag. Nirgendwo war eine Öffnung zu erblicken. Weder eine Fackel noch sonst eine andere Lichtquelle beleuchtete den Raum. Dennoch durchgleißte das Ganze ein Meer greller Strahlen und erfüllte alles mit übernatürlicher, geradezu gespenstischer Helligkeit.
Usher: Nun, du empfindest Furcht, nicht wahr? Ja, es kann nicht anders sein, denn ...

(Es klopft drängend.)

Nicht so laut! Ja!

(Die Tür wird quietschend geöffnet.)

der Diener: Sir, verzeihen Sie. Alle Vorbereitungen sind getroffen.
Usher: Es ist gut. Danke, du kannst gehen. Sag den anderen Bescheid.

(Die Tür wird geschlossen.)

Poe: Der Diener hatte sich entfernt.

(Polterndes Geräusch.)

Da fuhr sich Usher wild durch die Haare.
Usher: Ach, ich kann’s noch nicht glauben. Was tu ich ohne sie? Oh Gott! Muß es so kommen, wie ich es weiß? Du, sag doch etwas! So frag mich doch!
Poe: Ja, ich ... du ... du sprichst von Lady Magdalene? Ist sie ... ist sie jetzt ...
Usher: Ach ...
Poe: Usher, was ist mit Dir? Antworte!
Usher: Ach ... ach ... ach ... Natürlich ist sie tot, was hast du erwartet? Wir werden sie begraben.Wirst du mir behilflich sein?
Poe: Ich ... äh ...
Usher: Natürlich wirst du. Nichts, nichts sollst du versäumen. Komm!

(Spinettakkorde.)

Poe: Wenig später schritten wir über lange Korridore und Treppen hinter dem Sarg der Magdalene Usher her.

(Schritte.)

Sechs schwarz vermummte Diener zogen die einstige Herrin auf ihrem letzten Wege. Wortlos stiegen wir, über unendlich viele Stufen und Treppen, immer tiefer und tiefer, als Usher unvermittelt das Schweigen brach:

(Im folgenden Monolg Hall auf Ushers Stimme.)

Usher: Du wirst dich fragen, warum wir sie nicht gleich im Freien beisetzen. Später, vielleicht später. Doch einstweilen müssen wir sie in einer der vielen Grüfte innerhalb der Grundmauern des Schlosses aufbewahren, es kann nicht anders sein. Die ungewöhnliche Art ihrer Krankheit verlangt es. Auch stellte der Arzt bei ihrem Tod so viele Fragen, die mich die ... die mich, nun ... nun, die es erforderlich machen, ihren Körper noch nicht der abgelegenen, einsamen Begräbnisstätte der Familie anzuvertrauen.

(Die Schritte werden lauter, verstummen dann.)

So, Freund, wir haben das Ziel erreicht. Setzt den Sarg ab.

(Wieder ein scharrendes Geräusch.)

Und nun laßt uns allein.

(Die Diener gehen.)

Poe: Als die Diener fort waren, holte Usher einen riesigen Schlüssel hervor, mit dem er die vor uns liegende Tür aus massivem Eisen öffnete.

(Ein Schlüssel klirrt, dann wird polternd eine Tür aufgeschlossen.)

Ihr ungeheures Gewicht brachte einen unheimlich kreischenden, scharfen Laut hervor, als sie sich schwerfällig in den Angeln drehte.

(Entsprechendes Geräusch.)

Usher: Nun hilf mir den Sarg hinein zu tragen.

(Gepolter, dazwischen Schritte.)

(Schritte, dann ein Knarren.)

Ach ... ach ... ach ...gib Acht, daß deine Fackel nicht verlischt. Die Gruft ist sehr lange nicht geöffnet worden.
Poe: Ja, es herrscht eine drückende Atmosphäre ... dumpfig ... stickig.
Usher: Hm. Das Gewölbe liegt tiefer unter der Erde als jeder andere Raum des Schlosses. Es hat früher als Verlies gedient.
Poe: Laß mich noch einen Blick auf die Verstorbene werfen, da mir der Anblick der Lebenden kaum vergönnt war.
Usher: Bitte.

(Wieder ein scharrendes Geräusch.)

Poe: Wir schoben den noch lose aufliegenden Deckel des Sarges ein wenig zur Seite und blickten in das Antlitz der Ruhenden. Die Züge wiesen eine verblüffende Ähnlichkeit mit denen Ushers auf. Er schien meine Gedanken erraten zu haben, denn er murmelte:
Usher: Sie hat zu mir gehört, wie es enger nicht möglich ist ... waren Zwillinge. Unmöglich zu sagen, wer wen mehr geliebt hat.
Poe: Danach schwieg er, und bald wandten sich unsere Blicke wieder von der Toten. Es war unmöglich, sie längere Zeit zu betrachten, ohne von einem gewissen Grauen ergriffen zu werden. Die Krankheit, der Lady Magdalene in ihren besten Jahren zum Opfer gefallen war, hatte auf Hals und Gesicht eine gewisse schwache Röte hinterlassen und dem Mund ein tückisch lauerndes Lächeln gegeben, das den Tod so schrecklich erscheinen läßt. Hastig schoben wir den Sargdeckel wieder zurecht, schraubten ihn fest und nachdem wir die eiserne Tür geschlossen hatten, bemühten wir uns, auf schnellstem Wege die kaum weniger düsteren Räume des oberen Stockwerks zu erreichen.

(Spinettakkord.)

Nachdem ein paar Tage tiefster Trauer vergangen waren, trat in der Geistesverwirrung meines Freundes eine bemerkenswerte Änderung ein. Die gewohnten Beschäftigungen vernachlässigte oder vergaß er. Unsicheren, ziellosen Schritts irrte er von Zimmer zu Zimmer. Die Blässe seiner Züge war noch gespenstischer geworden, der feurige Glanz der Augen dagegen war ganz erloschen. Sprach er, so wurden seine Worte untermalt von einer zweiten Melodie des Zitterns und Schwankens, als hätte namenloses Entsetzen ihn gepackt. Und es gab Augenblicke, in denen ich allerdings glaubte, sein erregter Geist kämpfe mit irgendeinem drückenden Geheimnis, das zu gestehen er nicht den Mut finden könne. Manchmal traf ich ihn an, während er stundenlang ins leere starrte, mit dem Ausdruck höchster Wachsamkeit, als lausche er auf irgendein eingebildetes Geräusch.

(Spinettakkord.)

Alle Rätsel, die mir in den vergangenen Tagen aufgegeben waren, sollten in der siebten Nacht nach der Bestattung Lady Magdalenes in der Gruft ihre Auflösung erfahren.

(Erst Sturm, später Gewitter.)

Ein sich ankündigender Sturm ließ mich keinen Schlaf finden.

(Sturm.)

(Synthesizer-Musik.)

Und während die Stunden unendlich langsam dahinkrochen, bemühte ich mich, dem wieder in mir aufsteigenden Gefühl von Grauen und Furcht, Herr zu werden. Vergeblich. Immer stärkere Windböen trieben ihr unheimliches Spiel mit den Vorhängen und den Wandteppichen in der Nähe des Fensters. Mir brach der Angstschweiß aus. Ich richtete mich jäh im Bett auf, und jetzt - war es Täuschung oder Wahrheit - jetzt vernahm ich unter dem Tosen des Windes weit entfernte, sonderbar dumpfe Laute. Entsetzt sprang ich aus dem Bett und warf mir hastig meine Kleider über und ging rastlos im Zimmer auf und ab. Da plötzlich hörte ich ein leises Pochen an meiner Tür.

(Es wird hastig geklopft.)

(Ein leises Klopfen.)

Ja! Wer da?
Usher: Ich bin’s, Usher!

(Die Tür wird geöffnet.)

Poe: Ah, Roderick! Gut, daß du kommst. Du siehst, daß auch ich noch keinen Schlaf fand. Kein Wunder, in solch einer Nacht ...
Usher: Ja, in solch einer Nacht! (Er lacht.)
Du ... hast es nicht gesehen?
Poe: Was?

(Gepolter.)

Usher: Komm, komm, komm, ... komm mit zum Fenster hier.

(Schritte, dann wird das Fenster geöffnet.)

Nun, was siehst du?

(Synthesizermusik.)

Poe: Unheimlich!

(Der Sturm wird lauter, jetzt auch Gewitter.)

Der Sturm peitscht die Wolken auf das Haus zu, über dem sie dann schwer lastend verharren. Und dort: ja, alle Dinge dort draußen glühen im unnatürlichen hellen Licht eines Nebeldunstes, der sich um das Haus gelagert hat.
Usher: Ein wunderschöner Anblick, oder nicht? Was da vor sich geht, ist ungemein beruhigend! (Er lacht.)
Poe: Roderick, ich bitte dich ... und wie siehst du aus? Roderick, komm ... komm fort vom Fenster. Du darfst das nicht sehen. Äh, diese ... diese ... Naturerscheinungen sind ... äh ... sind nichts außergewöhnliches ... elektrische Ausstrahlungen des Gewitters. Ich werde das Fenster schließen.

(Das Fenster wird geschlossen.)

So. Und nun ... nun ... werde ich dir ein wenig vorlesen.

(Schritte.)

Wir wollen gemeinsam diese schreckliche Nacht hinter uns bringen.
Usher: Dank dir. Ja, lies mir vor. Laß mich vergessen ... vergessen, was ... mir heute nacht droht, mit unaufhaltsamer Macht auf mich zukommt. Lies aus jenem schwarz eingebundenen Buche dort.

(Rascheln.)

Poe: Aus diesem hier?
Usher: Ja, es ist der "Mad Trist" von Sir Lancelot Canning, mein Lieblingsbuch.
Poe: Die altertümliche Heldengeschichte?
Usher: Du wirst es nicht verstehen, aber in letzter Zeit spüre ich mehr und mehr, daß dieses Buch eine große, unheimliche Bedeutung für mich haben wird. Beginne bei der Stelle, wo Ethelred, der Held, sich gewaltsam Zugang zu der Hütte des Einsiedlers verschafft.
Poe: Nun gut. Hier ...

(Rascheln.)


LP-Seite 2:

(In der folgenden Szene ständiger Lärm, Synthesizermusik und Gewitter.)

"Da wollte Ethelred nicht länger Zwiesprache mit dem Einsiedler halten, sondern, da der Regen schon auf ihn herabprasselte und er das nahende Unwetter fürchtete, ließ er sein Schwert auf die Planken der Tür niederfahren, die alsbald auseinanderbarsten. Um vollends in die Behausung zu gelangen, packte nun seine gepanzerte Hand das ihr entgegenstarrende Holz, zerbrach und zertieß es und riß alles auseinander, daß von dem Lärm der ganze Wald auf’s fürchterlichste widerhallte."

(Lauter Donner.)

(Ein entferntes Krachen.)

Was war das?
Usher: Geräusche aus einem ... entlegenen Teil des Hauses, die nur zu gut zu dieser Stelle passen. (Er lacht.)
Poe: Wie ... wie meinst du das? Hm, nun ... also, ich fahre fort. "Aber wie erstaunte der kühne Held Ethelred, als er jetzt in die Türe trat. Nicht der Anblick des tückischen Einsiedlers erwartete ihn, sondern der eines fürchterlichen, schuppigen Drachen. Feuersprühend bewachte das Ungeheuer den Eingang zu einem goldenen Palast mit silbernem Boden. An der Mauer hing ein Schild mit der Inschrift: "Wer immer will eindringen hier, töten muß er das Untier, so wird ihm zufallen das Zauberpanier." Und Ethelred schwang sein Schwert, und mit einem Hieb zerschmetterte er dem Drachen den Schädel. Das Ungeheuer brach zusammen und stieß ein so schreckliches und gellendes Geheul aus, ...

(Ein lauter, synthetisch klingender Schrei.)

... daß Ethelred sich gern die Ohren zugehalten hätte vor dem gräßlichen Laut, wie er ähnlich nie zuvor vernommen wurde."

(Ein Quietschen in der Ferne.)

Was ... hast du das wieder gehört, Roderick? Was sind das für grauenerregende Geräusche?
Usher: Ach ...
Poe: Roderick, was ist mit dir? Hm, gut, ich werde dir weiter vorlesen. "Jetzt entsann sich der Held des stählernen Schildes, dessen Zauber nun gebrochen war. Mutig schritt er auf die Wand zu, woran das Panier hing. Als Ethelred sich jedoch auf fünf Schritt genähert hatte, da stürzte der stählerne Schild mit ungeheurlichem Schmettern auf den Silberboden hinab."

(Ein Krachen in der Ferne.)

(Ein Scheppern in der Nähe.)

Grauenvoll! Was ist das? Roderick! Diese gräßlichen Geräusche, woher kommen sie? Roderick! Hast du es nicht gehört?
Usher: Es nicht hören? Oh ja, ich höre es wohl und habe es gehört! Lange ... lange, lange, viele Minuten, viele Stunden, viele Tage habe ich es schon gehört. Aber ich Elender, ich wagte nicht, ich wagte nicht, zu reden. Wir haben sie lebendig ins Grab gelegt! Vor vielen Tagen schon hörte ich ihre ersten schwachen Regungen im Sarge. Und jetzt ... heute nacht ... Ethelred ... haha! Das Aufbrechen von des Einsiedlers Tür, der Todesschrei des Drachen und der dröhnende Klang des Schildes, sagen wir doch lieber: das Zerbersten ihres Sarges, das Kreischen der eisernen Angeln ihrer Grabtür. Und jetzt, jetzt ... kämpft sie sich qualvoll vorwärts durch den kupfernen Bogengang des Gewölbes ... oh, wohin soll ich fliehen? Gleich wird sie hier sein. Sie eilt herbei, mir meine Eile vorzuwerfen.

(Schritte.)

Da, da ... vernehme ich nicht schon ihre Tritte auf der Treppe? Kann ich nicht schon das schwere und dumpfe Pochen ihres Herzens hören? Wahnsinniger!

(Ein dumpfes Pochen.)

Ich sage Dir, daß sie in diesem Augenblick draußen vor der Türe steht!
Poe: Als läge in der übermenschlichen Kraft seiner Worte eine Zaubergewalt, so öffnete sich jetzt die riesige Ebenholztür, auf die der Sprecher hinzeigte, wie ein schwarzer Höllenrachen.

(Die Tür öffnet sich knarrend und quietschend.)

Es war nur die Folge einer gewaltigen Sturmböe gewesen, aber da: hinter den Türflügeln erschien leibhaftig die hohe, in ihre Leichentücher gehüllte Gestalt der Lady Magdalene Usher. Blut schimmerte auf dem weißen Gewand und überall an ihrem abgezehrten Körper waren die Spuren eines zähen Kampfes zu erkennen. Einen Augenblick blieb sie zitternd und schwankend auf der Schwelle stehen. Dann taumelte sie mit einem tiefen Stöhnen ins Zimmer, auf den Körper ihres Bruders zu und riß ihn, in heftigem Todeskampf, tot mit sich zu Boden. Roderick Usher war den Schrecken zum Opfer gefallen, die er vorausempfunden hatte. Wie gehetzt entfloh ich aus diesem Zimmer, aus diesem Hause. Draußen raste der Sturm noch mit voller Wut. Da, als ich den alten Teichdamm überquerte, schoß plötzlich ein grelles Licht über den Weg. Ich blickte zurück. Das Schloß war getaucht in den gespenstischen Glanz eines untergehenden, blutroten Mondes. Er beleuchtete besonders jenen kaum bemerkbaren Riß, der vom Dach des Hauses im Zickzack herunterlief. Während ich noch hinstarrte, erweiterte sich der Spalt mit unheimlicher Schnelligkeit. Da durchtoste die Luft ein gewaltiger Stoß des Wirbelsturms. Ich sah die mächtigen Schloßmauern auseinanderbersten.

(Lautes Krachen.)

Es folgte ein langes, donnerndes Getöse, wie von tausend Wasserfällen, dann schlossen sich die Wasser des tiefen, dunklen Teiches zu meinen Füßen finster und schweigend über den Trümmern des Hauses Usher.

(Spinettakkord.)

Informationen zum Versionsvergleich  Zu Teil 2


© Transkription & Versionenvergleich: Marcus Ebeling • Umsetzung in HTML: Harald Lutz (25. November 2000)

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